Nach dem Parteitag der CSU und dem zweiten Fernsehtriell ist der Wahlkampf in seine Endphase gegangen. Von Markus Söder wurde die vergangene Woche sogar als die entscheidende für den Wahlausgang eingestuft. In diesem Post möchte ich Ihnen erläutern, warum die Chancen für die SPD sehr gut sind und die Ampel-Koalition für mich das sehr wahrscheinliche Ergebnis für eine neue Bundesregierung ist.
Die aktuellen Zahlen von infratest dimap zeigen[1],
- Bei der SPD immer noch einen (leichten) Aufwärtstrend (26 %, +1)
- Für die Union einen Aufwärtstrend nach dem längeren Abschwung (22 %, +2)
- Bei den anderen: Grüne (15 %, -1), FDP (11 %, -2), Linke (6 %, unverändert), AfD (11 %, -1), Sonstige (9 %, inkl. freie Wähler, +1).
Zum Ende des Wahlkampfs schaue ich zur Einordnung der Zahlen von infratest dimap auch auf die Umfragen der anderen Institute. Bei Wahlrecht.de[2] sehen Sie eine tabellarische Übersicht, z. B. bei der Süddeutschen Zeitung[3] sehr schöne grafische Darstellungen. Eingeordnet in die Zahlen der anderen Institute sind die 22 Prozent der Union eher am oberen Rand eines breiten Korridors (20 bis 23 %) der Umfragen der vergangenen Woche, die 26 Prozent der SPD ein häufig anzutreffender Wert in einem schmalen Korridor (25 bis 26 Prozent).
Daraus folgt, dass die Werte und der noch leichte Aufwärtstrend der SPD stabil sind, bei der Union demgegenüber der Aufwärtstrend erkennbar, aber volatil ist.
Für den Wahlabend ist aus dem Dreikampf ein Zweikampf geworden, sodass ich mich heute nur auf Union und SPD und die spannenden Koalitionsoptionen konzentriere. Meine detaillierte Wahlprognose werde ich am 24. September veröffentlichen.
SPD: Aufwärtstrend abgeschwächt, stabiler Abstand zur Union
Der Aufwärtstrend der SPD hat sich abgeschwächt, und die SPD scheint nun in eine Phase der Konsolidierung einzutreten. Im Chart sieht man, dass die Kurve sich leicht nach rechts neigt. Immer noch steigen die Werte der SPD, aber mit jeder Umfrage sinken die Zuwachsraten. Das spricht für eine kommende Seitwärtstendenz. In meinem ersten Post zur Bundestagswahl finden Sie, warum ich mit einfachen Mitteln der Chartanalyse von Aktien auf die Entwicklungen schaue.
Die im Vorfeld des CSU-Parteitags ausgerufene entscheidende Wahlkampfwoche hat nicht dazu geführt, dass die SPD verliert. Allein der Aufwärtstrend, der mit dem weißen Punkt begann, konnte (aus Sicht der Union) abgeschwächt werden. Der Abstand zwischen SPD und Union ist weiterhin groß, bei infratest dimap und auch mit Blick auf die anderen Umfragen liegt er bei gut 4 Prozentpunkten, wie in den Wochen zuvor.
Union mit Umkehrsignal
Die Union konnte sich von dem historischen Tiefstwert von 20 Prozent lösen und hat damit vielleicht einen Aufschwung eingeleitet.
Aus Chartanalysesicht gibt es aber zwei Widerstandslinien, die für eine weitere Erholung überwunden werden müssten:
- Die grüne Gerade, die das relative Minimum aus der Abschwung-Phase vom Mai darstellt. Diese liegt bei 23 Prozent (gelber Kreis), der rote Kreis zeigt die Lücke zu den 23 Prozent.
- Sollte die grüne Gerade überwunden werden, läge darüber eine weitere Widerstandslinie (blaue Gerade), die relative Minima der Union aus der Vor-Corona-Zeit darstellt, mit 25 Prozent.
Was bedeutet das für die Wahlanalyse?
Die Frage ist, wo aktuell das Kernklientel der Union anzusiedeln ist, das am Wahltag sicher die Zeitstimme bei der Union macht. Die Wahlkampfstrategie der Union zielt in den letzten beiden Wochen darauf ab, die abgewanderten Stammwähler*innen zurückzugewinnen. Vermutlich erklärt das den aktuellen Verlust bei der FDP und der AfD. Vor Corona war die Untergrenze für die Union bei 25 Prozent – und damit wahrscheinlich die sehr treue Stammwählerschaft bestimmt. Seit Corona und mit der Nominierung von Armin Laschet, der auch in der eigenen Partei unbeliebt ist, haben sich aber Wähler*innen aus dieser Gruppe verabschiedet, sodass die 23 Prozent aus Mai eine derzeitige Obergrenze für die Union darstellen können, sozusagen eine neue treue Stammwählerschaft.
Konsequenzen für den Wahlabend
Wenn Markus Söder recht hat mit der Woche der Entscheidung, dann sieht es nach einem deutlichen Wahlsieg der SPD aus. Ich bin etwas vorsichtiger und in der letzten Woche kann noch einiges passieren (das letzte Triell, greift die Kampagne der Union gegen Olaf Scholz -Staatsanwaltschaft untersucht im Finanzministerium, unvorhersagbare Ereignisse, Bias bei den Demoskopen).
Mit Blick auf die aktuellen Zahlen spricht aber alles für einen Sieg der SPD. Hinzu kommt, dass der Wahltag naht, Sprünge in der Wählergunst nach oben schwierig sind und die Briefwähler jeden Tag das erreichbare Potential verringern.
Nun sechs statt fünf Koalitionsoptionen – auch die „Große Koalition“ wieder im Rennen
Auf Basis der aktuellen Umfragewerte gibt es rechnerisch nun sogar 6 realistische Koalitionsoptionen. Hinzugekommen ist die „Große Koalition“ (roter Pfeil im Chart). Mit zusammen 48 Prozent liegt das einzig rechnerisch mögliche Zweierbündnis aktuell 2,5 Prozentpunkte oberhalb von 45,5 %. Wegen der 9 % bei den sonstigen Parteien würde dies für eine Mehrheit im Bundestag reichen.
Für die folgende Analyse, welche Koalition kommen könnte, gehe ich davon aus, dass die SPD die Wahl gewinnt. Auf Basis der aktuellen Zahlen wäre dann in fünf dieser sechs Koalitionsoptionen die SPD als stärkste Partei vertreten. Einzig die sog. Jamaikakoalition aus Union, Grüne und FDP ist ohne Beteiligung der SPD denkbar. Auch wenn einige politische Beobachter, wie Gabor Steingart, Jamaika auf dem Zettel haben: Ich sehe nicht, dass die Grünen in diese Koalition einsteigen würden, angesichts von Alternativen mit höherer Überlappung in den politischen Zielen. Weil auch das diskutiert wird: Es gibt tragfähige Koalitionsoptionen, warum sollte es dann zu einer Minderheitsregierung kommen?
Ein Blick auf die vorhandenen Regierungskoalitionen in den Bundesländern gibt interessante Aufschlüsse. Wir haben in 8 Bundesländern Dreierbündnisse, – Sie finden in den Ländern alle fünf Optionen aus dem o. g. Chart in einer gemeinsamen Regierungsverantwortung.
Bundesland | Koalitionspartner* | Kurzname |
Brandenburg | SPD, CDU, Grüne | Kenia |
Bremen | SPD, Grüne, Linke | R2G |
Berlin | SPD, Linke, Grüne | R2G |
Rheinland-Pfalz | SPD, Grüne, FDP | Ampel |
Sachsen-Anhalt | CDU, SPD, FDP | Deutschland |
Schleswig-Holstein | CDU, SPD, FDP | Jamaika |
Sachsen | CDU, Grüne, SPD | Kenia |
Thüringen | Linke, SPD, Grüne | R2G |
Jamaika-Bündnis unrealistisch
Das Jamaikabündnis in Schleswig-Holstein ist 2017 unter der Führung der CDU zustande gekommen. Es sieht aber danach aus, dass die SPD stärkste Kraft wird. Schaut man auf die 4 Koalitionen in der Tabelle oben, wo die SPD stärkste Partei ist, gibt es zweimal Rot, Rot, Grün (R2G), einmal Kenia und eine Ampel. In jeder der 4 Konstellationen sind die Grünen dabei. In den Ländern sind die Grünen der natürliche Koalitionspartner für die SPD. Fehlt nur noch ein dritter Partner für eine stabile Koalition im Bund.
Große Koalition unwahrscheinlich
Wenn Jamaika ausfällt, welche Optionen hat die SPD? Insgesamt sind es fünf – gegen eine Jamaikaoption.
Die Große Koalition ist rechnerisch möglich, vermutlich auch am Wahlabend.
Bewerten Sie selbst diese Option, z. B. mit folgenden Fragen:
- Gibt es Signale der SPD in Richtung Union?
- Wären die Zukunftprojekte, wichtige Elemente des Wahlprogramms der SPD mit der Union machbar?
- Würde ein Bündnis mit der Union für einen Aufbruch und Wandel stehen und den Wähler*innen vermittelbar sein?
- Die SPD hat die jüngsten Angriffe von Laschet, Söder u. a. gegen die Partei (SPD immer auf der falschen Seite) und gegen Herrn Scholz (Staatsanwalt im Finanzministerium) übel genommen. Kann man das kurz nach der Wahl schon wieder ausblenden in der Suche nach einem verlässlichen Partner?
- Würde die Union als Junior-Partner in eine „Große Koalition“ eintreten (ob mit oder ohne Herrn Laschet)?
Meine Einschätzung ist, dass eine Neuauflage der Großen Koalition nicht kommen und die SPD eine Koalition ohne Beteiligung der Union suchen wird. Daher halte ich auch die Deutschland-Koalition und Kenia für wenig wahrscheinlich. Eine Deutschland-Koalition wäre zudem ohne Beteiligung des Wunschpartners Grüne.
Bleiben also nur noch R2G und die Ampel. Beide haben aus Sicht der SPD den Vorteil, dass sie mit den Grünen einen Partner hätten, der die meisten Gemeinsamkeiten bieten würde.
Dass Herr Scholz mit der Linken eine Koalition eingeht, halte ich für unwahrscheinlich, natürlich sieht das der linke Flügel in der SPD anders und Herr Bartsch hat Entgegenkommen in der Frage des Nato-Austritts für die Linken signalisiert. Olaf Scholz wird aber die Bedingungen für Koalitionen maßgeblich vorgeben. Für mich gibt es da zu viel Trennendes (Scholz als Mitautor der Agenda 2010, Verfechter einer soliden Haushaltpolitik in Deutschland und Europa, Außenpolitik, Verstaatlichung von Wohnungsbaugesellschaften).
FDP ist Zünglein an der Waage
Damit wird die FDP zum Zünglein an der Waage. Wenn die Optionen Deutschland und Jamaika nicht kommen, ist die Ampel die einzige Möglichkeit für die FDP, in die gewünschte Regierungsbeteiligung zu kommen. Natürlich sind die Schnittmengen zur Union größer und Teile der Wirtschaft würden eine Ampel kritisch sehen. Wenn die FDP hiermit aber R2G verhindert, anders als 2017 die Handschrift der FDP erkennbar wird, dann wird die Ampel für die FDP ein tragfähiges Szenario. Herr Lindner hält sich daher die Option offen, Herr Kubicki flirtet fast damit[4]. Wenn Sie diese Gedanken teilen, dann sehen Sie auch: Die SPD braucht R2G als Verhandlungs- und Rückzugsoption, die FDP als Begründung für den Einstieg.
Wenn ich heute auf ein Wahlergebnis und den Ausgang der Koalitionsverhandlungen wetten würde, dann würde ich auf einen Kanzler Scholz in einer Ampelkoalition setzen.
[1] https://www.infratest-dimap.de/umfragen-analysen/bundesweit/sonntagsfrage/
[2] https://www.wahlrecht.de/umfragen/
[3] https://www.sueddeutsche.de/thema/Bundestagswahl
[4] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-08/bundestagswahl-fdp-ampelkoalitition-spd-wolfgang-kubicki-volker-wissing?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F
Zwei Wahlen in Folge korrekt vorher gesagt!
Die Bundestagswahl und die nicht weniger wichtige Betriebsratswahl bei Mühlhoff Umformtechnik und beide Male stellen die SOZI’s den Kanzler, bzw. Vorsitzenden.
Respekt Klaus 😉
Danke für die Blumen, wobei der Ausgang der Betriebsratswahl ja viel einfacher vorherzusagen war, sehr überzeugendes Ergebnis Markus 👍