Feedback ist eines der meistdiskutierten Themen im Bereich Leadership. Feedback wird als Motor der Entwicklung von Mitarbeitern, Führungskräften und Organisationen gesehen. Wenn man in die aktuelle Praxis und Studien dazu reinschaut, sieht man allerdings, wie wenig motivierend und produktiv Feedback ist. Zwar wird mehr Feedback gewünscht, die Qualität der Rückmeldungen aber als oft nicht wertschätzend, richtig, unterstützend und mit einem Entwicklungsfokus eingeschätzt. Und wir loben zu wenig und falsch. Daneben ist in Deutschland Feedback Teil von überholten, z. T. in Tarifverträgen vorgeschriebenen, Leistungsbeurteilungskonzepten (vgl. auch meinen Post zu agilen Leistungsbeurteilungen).
Woran das liegt und wie man es besser machen kann, das möchte ich hier aufgreifen, mit einem konkreten Rahmen (Framework) zu Feedback und einem Feedback-Guide. In diesem Beitrag geht es um das Grundsätzliche und den Rahmen, der Guide mit einem Gesamtfazit kommt in gut einer Woche in einem zweiten Post. Dabei ist mir bewusst, dass es auch andere Perspektiven und Meinungen dazu gibt. Daher freue ich mich auf Ihre Rückmeldungen dazu.
Das Problem mit Feedback
Feedback umfasst mehrere Aspekte nach meinem Sprachgefühl, von der spontanen Hilfestellung angefangen, wenn man z. B. in einer Videokonferenz hilft, wie man ein Dokument teilt, bis zur Rückmeldung zu einem als aggressiv empfundenen Diskussionsverhalten von Kolleg*innen. In dem Chart habe ich 4 Cluster des Feedbacks gebildet, mit Beispielen erläutert und mit den Unterstützungsoptionen dazu. Wichtig ist mir, dass je weiter man sich vom unteren Cluster nach oben bewegt, umso subjektiver wird die Einschätzung des Beobachtenden und umso schwieriger wird Feedback.
Dass Feedback eine auf einer subjektiven Einschätzung beruhende Rückmeldung ist, ist der erste Punkt, der oft nicht gesehen wird. Feedback ist immer subjektiv. Daher sollten man das Bewusstsein dafür schärfen, dass
- Der sogenannte Rater-Effekt zum Tragen kommt.
- Die Rückmeldung in die persönliche Sphäre eingreift und dass damit Ängste ausgelöst werden können.
Der Rater-Effekt bedeutet, dass man unbewusst eine Person mit sich selbst, den eigenen Merkmalen und Werturteilen beurteilt. Studien zum Rater-Effekt kommen zu dem Ergebnis, dass gut 50 Prozent der Bewertungen durch den Rater-Effekt verzerrt sind[1]. Im Ergebnis findet dann eher eine Eigenbeurteilung statt. Besonders gravierende Verzerrungen finden Forscher bei standardisierten Leistungsbeurteilungen mit vorgegebenen Merkmalen und Bewertungsrastern.
Je subjektiver die Beobachtungen sind (je weiter oben im Chart die Situation), umso wichtiger ist die Erfahrung des Feedback-Gebers. Erfahrung ist aber nur eine Voraussetzung, die zweite ist die Fähigkeit, verschiedene Perspektiven einzunehmen und reflektiv zu sein.
Zum Thema reflektiv handeln gehört die Erkenntnis, dass der einzige Bereich, in dem wir eine verlässliche Quelle der Wahrheit sind, unsere Erfahrungen und Gefühle sind[2]. Und genau darum geht es im Feedback: um das Teilen von Erfahrungen, Eindrücken und Gefühlen.
Basis des Frameworks: Erkenntnisse aus Psychologie und Neurowissenschaft
Neurowissenschaftliche Ergebnisse bestätigen daneben, dass Feedback Stress und Angst auslöst[3]. Die Befürchtungen oder Ängste, die mit Feedback verbunden sind, resultieren auf den unterbewusst vorgenommenen Einschätzungen, inwieweit ein Feedback eine Gefahr für den eigenen Status, die Sicherheit oder Autonomie darstellt. Ist das der Fall, reagiert das Gehirn mit einem „Abwehr- oder Fluchtimpuls“, den wir unterbewusst immer noch aktivieren, sozusagen aus der Steinzeit noch mitschleppen. Sie versuchen dem Feedback zu entgehen, gehen in eine Verteidigungshaltung/-argumentation oder halten es für unzutreffend. Produktives Feedback bedeutet daher, die Wirkung auf das Unterbewusste zu berücksichtigen. Neurowissenschaftliche Studien zeigen im Übrigen, dass dies ähnlich für den Feedback-Geber ist.
Mein Framework für Feedback
Der hier präsentierte Rahmen hat den Austausch in hierarchischen Beziehungen zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten im Fokus, funktioniert aber auch für persönliches Feedback in agilen Teams oder anderen Formen des persönlichen (Peer-) Feedbacks. Und der Name Framework zeigt schon, dass ich von vorgefertigten Beurteilungssystemen nichts halte. Neben dem eingebauten Bias beruhen die praktizierten Modelle auf Kompetenz-Modellen, die oft mehr mit der Arbeitswelt der Vergangenheit und weniger mit zukünftigen Kompetenzen zu tun haben.
Gutes Feedback ist erlernbar. Sie brauchen hierfür aber regelmäßige Übung. Und weil die Akzeptanz von Feedback untrennbar mit Vertrauen in die Person verbunden ist, die ihnen eine Rückmeldung gibt, ist die Qualität von Feedback ein kontinuierliches Entwicklungsthema. Vertrauen baut sich nur langsam auf aus den gemachten Erfahrungen. Und da helfen einmal jährliche Gesprächssituationen mit einem festgelegten Raster nicht. Schon gar nicht, wenn damit personelle Maßnahmen verbunden sind (Höhe des Bonus, Gehaltsüberprüfung, Auswahl Talente), da es den Stress um Feedback erhöht, die Qualität des Austausches untergräbt – dito die kooperative Arbeit.
Aus meiner Sicht sollten Sie in einer Arbeitsumgebung, die wissensbezogen bzw. kreativ ist, – wenn es um die oberen Cluster im Chart geht – mindestens einmal im Quartal einen Austausch einrichten. Und immer, wenn es ein Gesprächspartner wünscht. Also hier schon mal ein Zwischenfazit: In die Tonne mit den praktizierten Standard-Leistungsbeurteilungen!
Der Ausweg aus dem Thema Stress/Ängste ist, dass Sie den Feedback-Prozess umkehren. Feedback wird nicht mehr gegeben, sondern erbeten. Mit diesem Wechsel haben Sie den Vorteil, dass der Feedback-Nehmer den Prozess steuert und dann im Vorfeld weiß, um welche Themen es geht. Eine amerikanische Studie [4] hat herausgefunden, dass sich in diesem Format der Herzschlag gegenüber dem traditionellen Feedbackprozess um 50 Prozent reduziert.
Zusätzlich unterstützend ist es, wenn die Themen, um die es in dem Gespräch gehen soll, vorab ausgetauscht werden. Dies ermöglicht für beide eine Vorbereitung und eine Phase des Perspektivenwechsels, bei der beide sich vorab fragen können, wie mein Gegenüber darauf reagieren mag? Zusammen mit der Steuerungshoheit über das Feedback-Gespräch führt der systematische Perspektivenwechsel dazu, dass die Gespräche deutlich weniger Stress und nicht die o. g. Befürchtungen oder Abwehrreaktionen bei beiden Teilnehmern auslösen.
Ergebnisse aus der Praxis zeigen auch, dass so eher wichtige Themen angesprochen werden, weil der Feedbacknehmer besser weiß, in welchen Punkten Verbesserungsbedarf besteht und wann man mal wieder ein Lob braucht. Studien zur Qualität von Feedback zeigen, dass viel zu oft Dinge angesprochen werden, die schon bekannt sind und an denen der Feedback-Nehmer arbeitet. Der Feedback-Nehmer ist kein leeres Gefäß, das mit Verbesserungsvorschlägen gefüllt werden muss.
Oben habe ich es schon angedeutet. Feedback sollte immer wechselseitig sein. Verbesserungsbedarf und der Wunsch nach Lob sind unabhängig von Ebenen oder Positionen und wir leben immer weniger in einer Top-down-Arbeitswelt. Öfter mal den Chef oder die Chefin loben! Das wechselseitige Feedback unterstützt daneben die Bereitschaft, Feedback sensibler zu geben und den Perspektivenwechsel zu leben, weil man danach ja auch beurteilt wird.
Aus einer Coaching-Perspektive fördert dieser Ansatz auch die Eigenverantwortung für den Feedback-Prozess. Indem man nicht nur passiv in das Gespräch geht, eine abwartende Haltung einnimmt, sondern sich aktiv einbringt, es mitgestaltet, verbessern sich auch die Erfolge für die eigentlichen Ziele: das kontinuierliche Lernen, besser werden.
Aber klar, gerade für Führungskräfte ist es eine Veränderung, aktiv und glaubwürdig auch persönliche Rückmeldung von Mitarbeitern zu wollen.
Meine persönlichen Erfahrungen mit Feedback (als Geber, Nehmer, Berater) spiegeln all das wider, was ich hier geschrieben habe. Bei Feedback-Formaten in Managementteams tendieren diese Teams eher zu Extremen. Entweder Wattebäuschen oder knallhart, selten ein gesundes Mittelmaß. Ich rege an, dass Sie zum Schluss Ihre eigenen Erfahrungen mit Feedback abrufen und diese zum einen rational, aber auch auf der Ebene, wie habe ich mich dabei gefühlt, bewerten. Das ist dann auch eine gute Basis, um meinen Post zum Feedback-Guide zu lesen.
[1] Dieser Artikel beschäftigt sich mit bekannten Beurteilungsfehlern in Performance Reviews https://engagedly.com/what-is-rater-bias-and-how-does-it-affects-performance-reviews/
[2] Einen tollten Beitrag zu den Fallstricken von Feedback finden in dem Beitrag aus dem Harvard Business Review https://hbr.org/2019/03/the-feedback-fallacy
[3] https://www.strategy-business.com/article/Using-Neuroscience-to-Make-Feedback-Work-and-Feel-Better
[4] https://theworkingreport.com/neuroscience-and-leadership/
Ein spannendes Thema und danke für die Impulse.
Es ist nach wie vor oft zu beobachten, dass Feedback geben, obwohl so wichtig, immer noch sehr selten beherrscht wird, bzw., dass, was unter Feedback geben gemacht wird, so gar nichts damit zu tun hat…