Bildung ist unsere wichtigste Ressource, unsere einzige. Im vergangenen Jahr habe ich mich mit der Gründung einer Bürgerinitiative für das Thema „Schule neu denken“ engagiert. In dem Podcast aus der Reihe „Der achte Tag“ der Redaktion PioneerOne können Sie hören, was mich da umtreibt[1]. Die Corona-Zeit hat auch hier das Brennglas auf die gravierenden Fehlentwicklungen gelegt. In dem Sinne ist auch dieser Beitrag sehr kritisch, ein Meinungsbeitrag, ein Verriss der deutschen Schulpolitik.
Für die Nicht-Abonnenten des Podcasts kurz zusammengefasst: Unsere Schulen sind im internationalen Vergleich Mittelmaß in der Qualität, Schlusslicht in der Digitalisierung, kein Motor für Chancengleichheit und damit verschenken wir als Gesellschaft ungenutzte Potenziale. Schule bereitet kaum auf das Leben heute und auch nicht auf das lebenslange Lernen und das Leben morgen in der digitalen Welt vor und ist auch weit weg von dem Anspruch der UNESCO: „Bildung ist der Schlüssel zu individueller und gesellschaftlicher Entwicklung“[2]. Und als Wirtschaftsstandort, als immer noch führender Industriestandort, können wir uns diese Mittelmäßigkeit und den verschlafenen digitalen Wandel nicht erlauben.
Schule lebt in einer analogen Blase
Wenn ich auf die deutsche Situation schaue, ist mein Bild: Schule bewegt sich in einer analogen Blase, abgekoppelt von wichtigen gesellschaftlichen Entwicklungen, in der Politiker, Gewerkschafter, Lehrerlobbyisten dafür gesorgt haben, dass – im Gegensatz zu den oft formulierten politischen Ansprüchen – Schule nicht Veränderungen in der Gesellschaft vorantreibt, sondern sich davon entkoppelt hat. Auch haben die genannten Gruppen ihren Anteil daran, dass wir bei der Digitalisierung der Schulen so weit zurück sind. Gerade in der Corona-Zeit hatte ich den Eindruck, dass es mehr um die Unterbringung von Kindern als um die Frage geht, wie man unter Corona-Bedingungen einen hochwertigen „Bildungsbetrieb“ am Laufen halten kann, in dem Kinder und Lehrer möglichst sicher lernen und lehren können.
Während sich der Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft beschleunigt, hält die Veränderung in der Bildungspolitik gerade in den Schulen nicht Schritt. Es dauert einfach alles viel zu lange. So wurde der erste Entwurf einer digitalen Bildungsoffensive viel zu spät in 2016 [4] vorgestellt, gut drei Jahre später (sic!) wurde ein verändertes Konzept 2019 als Digitalpakt Schule beschlossen und in 2020 merkt man dann (vermutlich erst durch Nachfrage), dass kaum Mittel abfließen. Das liegt auch daran, dass wir nicht ausreichend in die Schulen investieren. Die Integration der Flüchtlinge, die Umstellung auf Inklusion und das lebenslange Lernen stellen fundamental neue Herausforderungen an die Art zu Lehren. Lehrer*innen wurden und werden auf diese Veränderungen nicht ausreichend vorbereitet – und schon gar nicht rechtzeitig. Nachvollziehbar, dass die Digitalisierung in den Schulen geschoben wurde. Für mich ist auch klar: Es geht auch um ein Mehr an Personal.
Die Transformation der Schulen ist die schwierigste Transformation, die ich kenne
Das Kind ist in den Brunnen gefallen und so leicht bekommen wir es nicht mehr heraus. Neben den oben genannten Problemen hat das Schuljahr 2020 die Belastung bei Lehrer*innen insoweit verschärft, dass nach einer Umfrage der DAK vom letzten Oktober ein Viertel der Lehrer*innen regelmäßig erschöpft ist und Burnout-Symptome zeigt [5]. Der Beruf Lehrer ist in der Top-Liste für Berufs- (Dienst-)Unfähigkeit. Aber anstatt sich um die Belastung der Lehrer*innen zu kümmern und um die Sicherheit der Arbeitsplätze, werden Lehrer „Beauftrage für das Querlüften“. In meinem persönlichen Umfeld erlebe ich bei sehr motivierten Lehrern mit viel Herzblut eine Resignation und schleichende Demotivation. Es gibt noch leider keine Studien dazu, aber die Arbeitgeberattraktivität von Schulen bzw. des Berufs Lehrer dürfte im Corona-Jahr massiv gelitten haben.
Wir werden in den bestehenden Strukturen den dringend benötigten Wandel zu einer guten Bildungspolitik, bei der auch Schulen wieder attraktiv als Arbeitgeber werden, nicht schaffen. Wie in der Wirtschaft und den Unternehmen auch brauchen wir ein Transformationsprojekt Schule.
Wann werden die Arbeitgeber und deren Lobbyvereinigungen wach, hier mehr Druck zu machen?
Bildungspolitik braucht auch ein agiles Konzept und Menschen, die das vorantreiben und die erforderlichen Kompetenzen dafür haben. Und wie in Unternehmen auch geht es dabei nur am Rande um neue Technologien, sondern um Qualität von Führung, neue Kompetenzen, eine radikal andere Organisation, mehr Ressourcen und die Aktivierung der Veränderungsbereitschaft. Und zusammen mit der oben beschriebenen Stimmung in Schulen ist diese Transformation die schwierigste, die ich kenne. Bitte verstehen Sie diesen Post nicht als Lehrerbashing! Das Ziel ist eine andere Bildungspolitik.
In einem späteren Post werde ich eine Idee zu einem neuen Organisationskonzept vorstellen – angefangen bei den Kultusministerien, über die Schulbehörden bis zu den Schulen selbst. Meine Meinung ist, dass wir für diesen Neuanfang auch neue Kultusminister brauchen. Die Liste der Fehler ist zu lang und ich sehe bei den handelnden Akteuren nicht die Bereitschaft und die Kompetenz, einen solchen Neuanfang einzuleiten oder ihn glaubhaft vorleben zu können. Aus meiner – sicher sehr kritischen – Sicht haben sich die Kulturminister in ihrer Strategie mit der Mittelmäßigkeit der Schulbildung abgefunden und das Gemeinwohl vernachlässigt; in der Corona-Zeit hatten Pöstchen-Sicherung und das Vertuschen von Fehlern die höchste Priorität.
[1] https://www.thepioneer.de/originals/der-achte-tag/briefings/wie-wir-schulen-langfristig-besser-machen-koennen
[2] https://www.unesco.de/bildung/hochwertige-bildung
[4] https://www.bmbf.de/de/sprung-nach-vorn-in-der-digitalen-bildung-3430.html
[5] https://www.dak.de/dak/download/pressemeldung-2389004.pdf
Lieber Herr Peren, Sie sprechen mir aus der Seele, was die Lerninhalte, die Lernformen, den Zustand der Schulen und auch die Situation des Personals betrifft.
Ich denke aber, Fokus auf die Digitalisierung der Schulen zu legen – so wichtig die zweifelsfrei ist – würde bedeuten, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Jedes Unternehmen standardisiert Prozesse, Daten etc., bevor es sich an die Digitalisierung macht. Das würde unserer Schulpolitik auch guttun. Es ist nicht einzusehen, warum jedes Land andere Lehrpläne hat, jede Schule andere Bücher, ja, manchmal sogar jede Klasse. Das erschwert nicht nur Vergleichbarkeit untereinander oder den Wechsel von einer Schule zur nächsten, sondern stellt einen riesigen Berg an unnützer Arbeit bei der Digitalisierung dar, wenn man unter Digitalisierung nicht nur die Anschaffung von Technik und WLAN versteht.
Alsdann wäre die Ausbildung und Fortbildung der Lehrer ein wichtiges Thema. Viele Lehrer trauen sich an digitalen Unterricht oder auch nur den Umgang mit Lernplattformen nicht heran. Es ging ja bisher auch ohne …
Bezogen auf die derzeitige Situation des Distanzunterrichtes würde ich mir wünschen, dass nach so vielen Monaten der Lernmurkelei im letzten und in diesem Schuljahr sich die Kultusministerien dazu durchringen können, das Schuljahr komplett wiederholen zu lassen, anstatt 2 oder 3 Wochen Ferien zu streichen.
Hallo Frau Kleuskens, herzlichen Dank für Ihre Rückmeldung. Die Punkte sehe ich auch so, einzig die Digitalisierung, da müssen wir jetzt ran und sie bietet auch eine Chance, Standards einzuführen.