Deutschland hat gewählt. Olaf Scholz und die SPD sind die strahlenden Sieger, Union und Die LINKE die krachenden Verlierer. Meine Wahlprognose vom vergangenen Freitag lag ziemlich gut. Neben dem Bund erreichte die SPD auch in Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin Wahlsiege mit einer Union jeweils nur auf Platz drei.
Faktisch haben wir jetzt für den Bund drei Koalitionsoptionen: Ampel, Jamaika und SPD/Union.
Weil Grüne und Linke im Vergleich zu den letzten Prognosen schlechter abgeschnitten haben, ist Rot/Rot/Grün (R2G, roter Pfeil) nicht möglich. Und das verändert die „Architektur“ bzw. Machtbalance für die kommenden Sondierungen möglicher Dreierbündnisse. Der Wahlsieg der SPD ist deutlich, allerdings hat sie ohne ein rechnerisch mögliches R2G-Bündnis keine Rückzugsoptionen zu R2G, die verhandlungstaktisch genutzt werden könnten. Eine Wiederauflage der GroKo hat sie ausgeschlossen, insofern bleibt der SPD nur die Ampel.
Die Union ist noch mehr auf dieselben Partner in einem Jamaikabündnis angewiesen, da die Alternative nur Junior-Partner in einem Bündnis mit der SPD wäre.
In der Berliner Runde gestern Abend haben wir schon gesehen, dass FDP und Grüne ihre Machtposition richtig einschätzen, als Herr Lindner vorschlug, dass FDP und Grüne vorab sondieren sollten. Es ist nur vernünftig, wenn beide vorab die Perspektiven einer Zusammenarbeit klären. Sowohl für Jamaika als auch in der Ampel kommt es auf eine Zusammenarbeit von FDP und Grünen an. Neben der Blaupause für ein runderneuertes Deutschland wird es dabei sicher auch um Posten und Machtverteilung gehen und mit wem ein zukunftsfähiges und stabiles Dreierbündnis gelingen könnte. Wenn ich mir nur den Kernbereich Klimapolitik anschaue, dann könnte das ein gutes Bündnis werden: Klimapolitik, die Transformation der deutschen Wirtschaft mit ökonomisch vernünftigen Konzepten, ambitionierten Zielen und Beschleunigung der Prozesse.
Wenn FDP und Grüne diese Blaupause entwickelt haben:
Welche Argumente sprechen für ein Jamaikabündnis?
- Die größere Schnittmenge zwischen Union/FDP
- Die FDP bevorzugt Jamaika
- Viele Beobachter meinen, dass die Union pflegeleichter im Umgang wäre und vermuten eine starke linke SPD im Hintergrund
- Vermutlich größere Zugeständnisse für Grüne und FDP durchsetzbar durch die Schwächung der Union.
Welche Argumente gibt es pro Ampel?
- Wahlsieger ist die SPD im Bund, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin.
- Die Ampel hätte 10 Stimmen mehr im Bundestag
- Wählerwillen
Auch wenn bei der Bundestagswahl kein Kanzler gewählt wurde. Die Mehrheit der Deutschen wünscht sich Olaf Scholz [1] und laut Forsa wollen 62 Prozent einen Rücktritt von Armin Laschet. - Größere Schnittmenge SPD/Grüne
- Gescheiterte Jamaika-Sondierungen 2017
Die FDP hat keine guten Erinnerungen an den Versuch nach der Bundestagswahl 2017, ein Jamaikabündnis zu schließen.
- Instabile Union
Die Union hat ihre Neuausrichtung noch vor sich (anders als die SPD). Sichtbar wird das gerade am Gerangel um den Fraktionsvorsitz. Auch wagen sich immer mehr Unionspolitiker aus der Deckung, die nicht nur den Wahlkampf der Union kritisieren. Jens Spahn fordert personelle, Norbert Röttgen auch inhaltliche Erneuerung und Sachsens Ministerpräsident sieht hausgemachte Fehler für das Wahldebakel: „Es sind Fehlentscheidungen in der Vergangenheit gewesen, inhaltlicher Art, in der Regierung und auch in der personellen Aufstellung“ [2]. Mit einer Union vor der Neuausrichtung ist kaum ein stabiles Jamaikabündnis möglich.
- Sondierungen mit Laschet/Söder unkalkulierbar
Armin Laschet und Markus Söder sollen sondieren. Beide haben die Wahl verloren. Auch die Ergebnisse der CSU in Bayern sind historisch schlecht. Verhandlungen mit angeschlagenen Partnern sind immer schwierig. Daneben ist schwer vorstellbar, wie beide erfolgreich sondieren wollen. Laschet hat sich bei der Kanzlerkandidatenkür vorgedrängelt, Söder hat den Wahlerfolg von Laschet (vielleicht sogar bewusst und systematisch) torpediert. Beide haben sich nicht als Teamplayer erwiesen, wie soll das jetzt als Führungsduo in Sondierungen funktionieren?
Für mich spricht daher weiterhin vieles für eine Ampelkoalition und einen Kanzler Olaf Scholz. Auch politisch scheinen mir die Unterschiede zwischen den Parteien in einem Ampelbündnis überwindbar. Die Nach-Merkel-Ära wird aber auch bei Jamaika maßgeblich von Grünen und FDP mitgestaltet. FDP und Grüne sollten in den Forderungen an SPD oder Union aber nicht überziehen. Am Ende könnte es sonst doch zu einer Neuauflage der „Großen Koalition“ kommen.
[1] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/wahlanalyse-bundestagswahl-100.html
[2] https://www.sueddeutsche.de/politik/bundestagswahl-2021-live-1.5422637