Die jüngsten Umfrage von Infratest dimap zeigt so gut wie keine Veränderungen[1]. Die Union führt mit 8 Prozentpunkten immer noch deutlich vor den Grünen. (In meinem Blog gibt es mittlerweile aktuellere Beiträge zu dem Thema, die Sie über die Suchfunktion mit dem Stichwort „Bundestagswahl“ finden können). Auch bei den anderen Parteien gibt es keine nennenswerten Bewegungen. Bisher scheint auch die Diskussion um ein Plagiat im neu veröffentlichten Buch „Jetzt“ von Annalena Baerbock wenig Auswirkung auf die Wahlchancen der Grünen zu haben. Daher verzichte ich in diesem Beitrag auf eine genaue Trendanalyse. Lesen Sie dazu gerne mein letztes Wahlupdate (hier verlinkt), meine Wahlprognose halte ich aufrecht.
In diesem Post möchte ich mit Ihnen teilen, warum aus meiner Sicht trotz des komfortabel anmutenden Vorsprungs der Union das Rennen zwischen Union und Grünen noch nicht entschieden ist. Immer noch kann es am Wahltag zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen kommen, weiterhin mit Vorteilen für die Union.
Wo, warum es noch Trendveränderungen geben kann:
- Schwankende Wählergunst, kurzfristige Wahlentscheidung
Die Veränderungen in den Umfragewerten sind seit der Corona-Zeit größer geworden (höhere Volatilität) – insbesondere für die Werte für Union und Grüne (vgl. meine Charts aus den älteren Posts im Bereich nach Corona-Effekt). Meinungsforscher sagen daneben, dass Wähler*innen ihre Wahlentscheidung kurzfristiger treffen. Da bis zum Wahltag am 26. September noch gut 3 Monate Zeit vergehen, kann sich in der Wählergunst noch einiges ändern. - Klimapolitik wichtigstes Thema
Im ARD-DeutschlandTrend[2] haben die Befragten im Juni mit 28 Prozent die Lösung des Umwelt-/Klima-Problems als vordringlichst zu lösendes Thema eingestuft. Auf Platz 2 liegen gleichauf Zuwanderung, soziale Ungerechtigkeit, Corona. Bei der Bundestagswahl 2017 war Zuwanderung noch das bei weitem dominierende Thema – 47 Prozent, dieselben Fragen).
Da die Grünen in der Klimafrage eine höhere Kompetenz zugesprochen wird, könnte das Klimathema noch Bewegung in die Wahlpräferenzen bringen, zumal die Bürger*innen zur Lösung des Klimaproblems nach Daten von Infratest dimap auch persönliche Einschränkungen akzeptieren und 40 Prozent Verbote sogar befürworten würden. Vielleicht schreckt das Image der Verbotspartei weniger als geglaubt die Wähler*innen ab. Das Klimathema kann umso mehr zum Thema werden, wenn dieser Sommer wieder heiß und trocken wird oder Wetterextreme auch bei uns auftreten, schon weil in den Medien dadurch mehr über die Folgen des Klimawandels und Strategien dagegen berichtet würde.
- Gefahr der 4. Welle
Die Zufriedenheit bzw. die Unzufriedenheit mit dem Management der Coronakrise waren Haupttreiber für die schwankenden Zustimmungswerte der Union.
Deren Wahlchancen werden daher auch davon abhängen, wie erfolgreich die Impfkampagne zum Wahltag bewertet wird und ob wir in eine 4. Welle „reinlaufen“ werden. Die 2. Corona-Welle begann mit exponentiellem Wachstum um den Oktoberbeginn 2020. Vielleicht sehen wir aufgrund der ansteckenderen Deltavariante, Lockerungen, schlechtem Wetter, sorgloseren Reiserückkehrern schon früher im Jahr vor dem Wahltermin wieder eine weitere Corona-Welle: mit Lockdown, Wechselunterricht (anstelle des angekündigten Präsenzunterricht) in den Schulen und anderen bekannten Einschränkungen.
Die Zufriedenheit mit der Bundesregierung in der Führung durch die Corona-Krise hat sich zwar wieder etwas verbessert, die Werte sind aber immer noch schlecht, sodass aktuell eine Mehrheit mit der Arbeit der Bundesregierung nicht zufrieden scheint – in der Umfrage von Infratest 54 Prozent weniger bis gar nicht zufrieden. Mit einer sich abzeichnenden 4. Welle vor der Bundestagswahl kann sich das Bild für die Union schnell wieder eintrüben.
- Kanzlerbonus entfällt
Alle Landtagswahlen dieses Jahr haben gezeigt, dass der Amtsinhaberbonus der jeweiligen Partei geholfen hat. Da Frau Merkel nicht wieder antritt, gibt es keinen Amtsbonus für die Union. Die Zustimmungswerte von Baerbock, Laschet, Scholz sind vorsichtig gesagt ausbaufähig.
Bisher ist niemand in der Lage, sich qua Ausstrahlung und Glaubwürdigkeit bei den Wähler*innen einen Vertrauensbonus zu erarbeiten. Ein Wahlkampf nach dem Motto „Ich mach das schon“, wie Angela Merkel ihn führen konnte, ist wenig Erfolg versprechend, auch wenn Herr Laschet in den letzten Wochen in der Popularität gut zugelegt hat.
In den kommenden Wochen wird es daher entscheidend darauf ankommen, wer im Punkt Führungsqualität zulegt und Zuversicht vermittelt, ich löse die anstehenden Herausforderungen bzw. ich und mein Team.
- Es kommt noch zu einem Wahlkampf der Argumente
Mittlerweile haben alle Parteien ihre Wahl-/Regierungsprogramme verabschiedet und veröffentlicht. Zeit wäre es, jetzt in die Diskussion zu gehen, wer die besseren und belastbaren Konzepte hat für die Zukunftsthemen. Das gilt für mich auch, wenn die Wähler*innen einen erstaunlichen Realismus zeigen, inwieweit Versprechen aus Wahlprogrammen umgesetzt werden. So glauben nach Zahlen der Forschungsgruppe Wahlen nur 23 Prozent, dass die Ankündigungen vor der Wahl auch eingehalten werden[3].
Über die Seriosität von Wahlprogrammen könnte man ein Glaubwürdigskeitsdebatte mit Auswirkungen auf die Wählergunst aufbauen.
- Social Media gewinnt an Bedeutung
Auch in Deutschland informieren sich immer mehr Bürger*innen über politische Themen im Internet, den sozialen Medien. Wir sind noch weit weg von amerikanischen Verhältnissen, aber gerade die AfD ist sehr erfolgreich in der Ansprache und Bindung von Wähler*innen über die sozialen Medien. Auch andere Parteien bzw. deren Spitzenpolitiker*innen legen in den letzten Wochen deutlich zu bei Followern, Posts/Tweets, Klicks. Der Sozial-Media-Check in der Fußnote[4] zeigt bei den aktuellen Regierungsparteien einen großen Nachholbedarf.
Dass eine gute Social-Media-Strategie gerade jüngere Wähler*innen anspricht, hat der YouTuber Rezo gezeigt, als er 8 Tage vor der Europawahl sein Video „Die Zerstörung der CDU“ veröffentlichte, das bis zur Europawahl gut 10 Mio. mal (bis heute 18 Mio.) aufgerufen wurde. Wahlforscher gehen davon aus, dass zumindest bei jungen Wähler*innen dieses Video zu Stimmenverlusten für die Union geführt hat. Vielleicht ist der Rückstand der Union in der Social-Media-Kommunikation die Achillesferse für den Wahlkampf der Union, zumal in der Urlaubszeit Wähler*innen weniger über die traditionellen Medienkanäle (TV, Print) erreicht werden können.
- Der Einfluss der „Freien Wähler“
In der Umfrage von Infratest erscheinen jetzt die „Freien Wähler“ bei den sonstigen Parteien mit 3 Prozent. Deren Unterstützer rekrutieren sich überwiegend aus ehemaligen Union-Wähler*innen. Wenn sie in der Wählergunst zulegen, dabei unter der 5-Prozent-Hürde bleiben, gehen diese ehemaligen Unionsstimmen der Union verloren. Wenn aber die Freien Wähler sogar über die 5-Prozentmarke kommen sollten, bieten sich ganz neue Koalitionsoptionen mit Vorteilen für konservative Bündnisse. - Wahlbeteiligung
Die Forschungsgruppe Wahlen hat für Beginn des Junis 16 Prozent Unentschlossene[5] und 5 Prozent Nichtwähler ermittelt. Gut jede*r Sechste ist noch unentschlossen. Für wen sich diese Unentschlossenen am Wahltag entscheiden, ob sie überhaupt zur Wahl gehen, kann große Auswirkungen auf den Wahlausgang haben. Allerdings ist unklar, wer von einer hohen Wahlbeteiligung profitieren würde.
- Chartanalyse
Die Union liegt mit 28 Prozentpunkten chartechnisch in einem kritischen Bereich, da sich der Trend von unten der langfristigen Durchschnittskurve genähert hat mit der Möglichkeit des „Abprallens“ von dieser Kurve und einem folgenden Abwärtstrend (vgl. diesen Post). Demgegenüber könnte sich bei den Grünen gerade eine Umkehrformation gebildet haben mit nachfolgend besseren Zustimmungswerten. Es bleibt also spannend!
[1] Umfrage vom 25.6. https://www.infratest-dimap.de/umfragen-analysen/bundesweit/sonntagsfrage/
Umfrage vom 1.7. https://www.infratest-dimap.de/umfragen-analysen/bundesweit/sonntagsfrage/
[2] https://www.infratest-dimap.de/umfragen-analysen/bundesweit/ard-deutschlandtrend/2021/juni/ – gefragt wurde: Welches ist Ihrer Meinung nach das wichtigste Politische Problem in Deutschland, das vordringlich gelöst werden muss? Und welches das zweitwichtigste?
[3] https://www.forschungsgruppe.de/Aktuelles/Politbarometer/
[4] https://www.politik-kommunikation.de/ressorts/artikel/die-politischen-parteien-im-online-check-357547739
[5] https://www.wahlrecht.de/umfragen/politbarometer/stimmung.htm
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